Therapie
03.09.2021
Der Weg zur Systemrelevanz über die Therapie
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Fitnessbranche im Wandel
Wie können Therapie und Fitness ihre gemeinsame Schnittmenge nutzen? Die Hürden, die beide Bereiche voneinander trennen, gilt es zu überwinden. Wie schaffe ich eine erfolgreiche Symbiose? Michael Faßbender gibt Antworten.
Corona – der erste Lockdown erfasste alle Branchen unverhofft und mit voller Wucht. Während die Therapieeinrichtungen wegen ihrer System - relevanz geöffnet blieben, mussten Fitness-Studios schließen. Auch die, die sich gesundheitsorientiert präsentieren und ein medizinisches Training anbieten.
Michael Faßbender, Leiter Consulting und Vertrieb Deutschland von proxomed, zeichnet im Gespräch mit TT-DIGI eine Entwicklung auf, welche die Fitnessbranche verändern wird. Denn die Tendenz, dass sich Fitness und Therapie annähern, gab es bereits und wurde auch beiderseits schon mancherorts praktiziert. Die Pandemie spitzte die Lage jedoch zu.
TT-DIGI: Herr Faßbender, wann kamen die ersten Anfragen von Fitnessbetreibern?
Michael Faßbender: Wir haben das Thema bereits 2010/2011 unter dem Konzept „Medical Fitness“ aufgegriffen. Durch Corona hat dann die Systemrelevanz in der Therapie auch andere Gesundheitseinrichtungen auf den Plan gerufen. Auf den Lockdown bezogen kam die erste Anfrage Mitte Mai 2020.
TT-DIGI: Worin unterscheidet sich Ihre Beratung für Fitnessanlagen im Vergleich zu therapeutischen Einrichtungen?
Michael Faßbender: Im Unterschied zur Therapie müssen die räumlichen Voraussetzungen geklärt werden. Die Rahmenverträge in der Therapie geben das vor. Zum anderen muss eine fachliche Leitung eingerichtet werden. Der Gesetzgeber gibt Rahmenbedingungen für die Therapie vor, mit denen sich Fitnessanlagen zuvor nicht befasst haben. Außerdem ist ein Umdenken in der Positionierung nötig.
TT-DIGI: Meinen Sie einen Perspektivwechsel?
Michael Faßbender: Es ist eher ein Positionswechsel vom rein kommerziellen Bereich mit dem Ziel, möglichst viele Mitgliedschaften abzuschließen, hin zur Frage: Was braucht ein Patient?
TT-DIGI: Können Sie das näher ausführen?
Michael Faßbender: Wir von proxoconsult gehen in der Beratung von den Fragen aus: why, how, what. Warum kommt ein Patient in meine Einrichtung? Es geht nicht darum, ihn schnell in ein Abo zu überführen. Wir betonen bei uns in der Patientenkybernetik, dass ein Patient ein Recht auf seine Krankheit hat. Viele Patienten wünschen sich die Nähe des Therapeuten, dass man sich um sie kümmert. Das muss man anerkennen und den Patienten tut das gut. Die Veränderung für Fitnessleute besteht darin, die Patienten erst einmal zu verstehen. Erst dann kommen die Fragen: Welche Heilmittel braucht er? Was kann ich ihm aus meinem Portfolio anbieten? Was ist für ihn richtig? Ein Abo ist nicht immer der richtige Weg. Der Betreiber muss ein Gefühl dafür entwickeln oder Mitarbeiter haben, die das können.
TT-DIGI: Kann das ein „Fachlicher Leiter Therapie“ übernehmen?
Michael Faßbender: Der therapeutische Leiter, der Physiotherapeut, muss sich auch erst mit der Philosophie der Fitnessanlage auseinandersetzen, was ich allerdings selten erlebt habe. Wenn sich der Betreiber selbst für die Therapie nicht interessiert, wird sie immer „nebenher“ laufen. Eine Symbiose erfolgt dann schwerlich. Ein Betreiber muss Wege finden, den Therapeuten in seinem Umfeld der Therapie abzuholen. Obwohl es keine direkte räumliche Verbindung gibt, muss eine Integration zur erfolgreichen Umsetzung erfolgen. Mit dem Ziel, dass Patienten auch die Fitnessanlage nutzen.
TT-DIGI: Welchen Weg schlagen Sie vor?
Michael Faßbender: Um die Potenziale einer Fitnesseinrichtung einzubeziehen, schlagen wir den Therapeuten eine interne physiotherapeutische Verordnung vor: Eine Therapeutin schlägt beispielsweise nach Therapieende der Patientin eine aktive Therapie auf der Trainingsfläche vor, um mit ihr zusammen zu überprüfen, ob das für sie infrage kommt. Die Therapeutin weist auf ein ihr zustehendes kleines Budget für eine interne Verordnung für spezielle Patienten hin, bei denen es in den Behandlungspfad passt. Das sei für die Patientin kostenlos, da erst einmal überprüft werde, ob es das Richtige wäre.Dies kommt einerseits bei der Patientin gut an, weil sich jemand exklusiv um sie kümmert, andererseits verkauft die Therapeutin nichts, denn sie erweitert nur den Behandlungspfad. Und, wenn der Patientin das Training gefällt, kann sie Trainingsstunden hinzukaufen. Das funktioniert gut, denn es hat eine ganz andere Wertigkeit als ein Probetraining.
TT-DIGI: Welche Tipps haben Sie zur mentalen Integrierung der unterschiedlichen Teams? Trainer und Therapeuten?
Michael Faßbender: In unseren Fortbildungen, die wir von proxoconsult anbieten, gibt es Kurse zur Patientenkybernetik. Darin enthalten ist ein Achtsamkeitsmodul. Es geht unter anderem um Empathie. Das kann ich – nach anfänglicher eigener Skepsis – jedem Fitnessbetreiber nur empfehlen. Wenn man die therapeutische Seite mit ins Boot nimmt, ist es interessant, sich mit Fragen der Achtsamkeit, der Empathie, des Zuhörens zu befassen. Mein Tipp ist zudem noch, sich viele Therapieeinrichtungen persönlich anzusehen. Fitnessanlagen müssen die Philosophie der Therapie zu verstehen. Sie müssen sich fragen: Warum mache ich Therapie, wie mache ich Therapie und was kann ich anbieten. Wie kann ich Patienten zu einer besseren Lebensweise verhelfen? Sie müssen auch lernen, die Gruppe vom Controlling her zu steuern, damit es wirtschaftlich erfolgreich ist.
TT-DIGI: Was muss Ihrer Meinung nach die Fitnessbranche anders machen, um systemrelevant zu werden?
Michael Faßbender: Die Fitnessbranche hat es leider noch nicht geschafft, sich klar im medizinischen Bereich zu positionieren und in diesem Bereich ein Standing zu haben. Das ist schade, weil es wirklich sehr gute Fitnessbetreiber gibt. Liegt es am Kommerz oder am Lifestyle? Lifestyle braucht niemand im Lockdown. Aus diesem Morast ist Fitness noch nicht herausgekommen und steckt darin fest. Auch Fitness-Studios, die sich als Rückenexperten positionierten, wurde die medizinische Notwendigkeit nicht zugeschrieben. Um eine medizinische Notwendigkeit für sich zu beanspruchen, braucht man eine Legitimation. Und die erhält in Deutschland nur, wer zugelassen ist. Vielen hat das sehr weh getan. Sie hatten dann nur die Therapie offen. Dort sah man dann auch die Schwierigkeit: Dass eine kleine Physiotherapie den Fitnessumsatz natürlich nicht auffangen kann, aber dies ein erster Schritt in Richtung Systemrelevanz ist. Sie wird sich künftig noch mehr therapeutischen Themen widmen müssen.
TT-DIGI: Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Reinhild Karasek.
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